Mit dem Beginn der Gotik ändert sich auch die Grundform des Kapitells: Nach der Vielzahl an romanischen Kapitellformen setzt sich in der Gotik der Kelch als einzige Form durch. Der Übergang von rechteckigem zu rundem Querschnitt verlagert sich in die obere Hälfte des Kapitells, wodurch ein wesentlich schlankerer Körper entsteht. Der allgemeinen Ästhetik des Stils folgend, werden auch die Säulen der Biforen schlanker.
Die optische Wirkung des sich nach oben öffnenden Kelches ist eine aus der Säule herauswachsende Wandfläche.

Verziert wir das Kapitell durch stilisierte Blätter oder Knospen, die nicht nur als schwaches Relief gefertigt sind, sondern plastisch durchgeformt werden [Lilienfeld]  , weshalb sie auch in den meisten Fällen zerstört sind [Hainburg].
Bei frühen Formen sind die Blätter und Knospen stark stilisiert, fast abstrakt. Wenn eine konkrete Pflanzenform erkennbar ist, dann ist es der Akantus, eine bei uns nicht heimische Pflanze, die also ebenfalls als abstrakte Form zu werten ist. Die Anordnung der Blätter ist streng symmetrisch und starr, die Ecken werden stark betont.
Bei frühen Formen ist der Kelch besonders hoch, die Blätter wirken gespannt und ragen über seinen oberen Rand hinaus [Lilienfeld] . Beides unterstützt den nach oben strebenden Gesamteindruck. Bei späten Formen wird der Kelch wieder kürzer, die Anordnung der Blätter im Mittelbereich des Kelches teilt ihn optisch und läßt ihn kürzer erscheinen [Krems].
Obwohl gotische Bauten ab etwa 1225 in Österreich zu finden sind, wird parallel dazu der "alte" romanische Stil weiterentwickelt. Es scheint als wäre der "neue" Stil für manchen Bauherren entweder scheußlich oder zumindest nicht "politisch korrekt" gewesen. 

Auxerre - Frankreich

St.Etienne, um 1230

Auxerre - Frankreich

St.Etienne, um 1230

Auxerre - Frankreich

St.Etienne, ab 1215

Louvre ( Paris )

Zentrale Säule im sog. Salle Saint-Louis ( um 1250)

Coucy le Chateau

Knospenkapitell in einem der im 1. Weltkrieg gesprengten Rundtürme.
um 1230

Coucy le Chateau

Knospenkapitell in einem der im 1. Weltkrieg gesprengten Rundtürme.
um 1230

sog. Abendmahlsaal - Jerusalem

Geburtskirche Bethlehem - Israel

Eingangsportal zur Geburtsgrotte

Semur-en-Auxoir; Frankreich

Semur-en-Auxoir; Frankreich

ab 1225

Semur-en-Auxoir; Frankreich

ab 1225

Semur-en-Auxoir; Frankreich

ab 1225

Semur-en-Auxoir; Frankreich

ab 1225

Semur-en-Auxoir; Frankreich

ab 1225

Semur-en-Auxoir; Frankreich

ab 1225

Bratislava - Slowakei

Portal der Franziskanerkirche

Bratislava - Slowakei

Portal der Martinskirche

Um 1400 löst sich die starre Anordnung des Blattwerks in eine neue, bewegte Form, die sich jedoch nicht an der Natur orientiert. Das Laub des Eichenblattes und Weinblattes wird extrem stark gedreht und gekrümmt (Buckellaub). 
Neben Pflanzenmotiven  werden wieder figurale Motive verwendet. Im Gegensatz zur Romanik wird nicht das Problem (Bedrohung durch Dämonen)  dargestellt, sondern die Lösung des Problems, bzw. das gelöste Problem, durch positiv besetzte Figuren ( z.B. musizierende Engel, Heilige, Darstellungen aus dem Physiologus [Neuberg] ).
Der allgemeinen gotischen Tendenz des ununterbrochenen Ansteigens entsprechend, verliert das Kapitell an Bedeutung, weil es eine Unterbrechung darstellt.  Insbesondere die Kämpferplatte wird in ihrer Bedeutung immer weiter reduziert, bis das Kapitell nur noch als schwach dimensionierte Verbreiterung der Säule überbleibt [Enns-Wallseerkapelle] [Maria Saal]
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts schließlich wird häufig - insbesondere im Kirchenbau -  auf das Kapitell völlig verzichtet und die Säulen gehen ohne Übergang in die Mauerflächen ( bzw. die Gewölberippen ) über. 
Bei Fenstern bedeutet die Entwicklung von der Bifore zum  rechteckigen, rundum gefasten Fenster mit Mittelpfosten das Ende des Kapitells. [Neuhaus a.d.Donau]

Renaissance, Neugotik und Neuromanik :
gut gemachte Kopien bis zum 21. Jahrhundert

BEA Liebenau - STMK

am Portal meiner ehemaligen Mittelschule, die 1854 als Kadettenschule errichtet wurde.

> Beispiele für Kapitelle in anderen europäischen Ländern