Tollinghof
STMK / Bez. Leoben / Gem. St. Peter-Freienstein
Der Tollinghof ist ein weitgehend unbekanntes spätmittelalterliches Kleinod, das durch einige Besonderheiten auffällt:
Er ist die wohl kleinste Burganlage der Steiermark: Er besteht lediglich aus einem Wohnturm von nur 7x7 Metern, an den ein kleiner bergfriedartiger Turm angestellt ist. Dazu ist jedoch zu bemerken, daß er ursprünglich der zentrale Kern einer größeren Anlage war, deren andere Gebäude heute aber nicht mehr existieren.
Auch die Lage ist für eine Burg völlig untypisch: Der Tollinghof liegt in einem kleinen Seitengraben an der Straße von Donawitz nach Vordernberg, und zwar nicht auf einer Anhöhe, sondern im Tal. Der Bergfried - noch in voller Höhe von etwa 12 Metern erhalten - steht nur wenige Meter vor einem die Anlage überragenden Steilhang.
Drittens ist die Bauzeit ungewöhnlich: Das Mauerwerk, das man wohl als Zwickelmauerwerk mit Abgleichlagen bezeichnen könnte, sowie diverse Baudetails deutet auf eine Errichtung im späten 15. Jahrhundert hin, also zu einer Zeit als kaum noch Burgen gebaut wurden.
Obwohl das Gebäude heute mit einem Dach versehen ist, handelt es sich dabei um eine Ruine, um den Stumpf eines ursprünglich 3-stöckigen Wohnturms. Dessen Ausmaße sich noch an den Abrücken der Zwischendecken und des Dachgiebels am Bergfried erkennen lassen.
Das Erdgeschoss ist fast zur Gänze erhalten: Es besteht aus einem einzigen etwa 7,5 x 7,5 Meter großen Raum. An jeder Seite sind noch die Abdrücke von jeweils drei spitzbogigen Gewölbekappen zu erkennen. Dafür gibt es zwei mögliche Rekonstruktionsansätze:
1) eine dreischiffige, dreijochige Halle deren zentrales Gewölbefeld von vier Säulen getragen wurde. Diese Konstruktion würde man zwar eher mit romanischen Pfalzkapellen verbinden als mit einem spätgotischen Wohnturm in der steirischen Provinz, es gibt dafür jedoch durchaus zeitgleiche Vergleichsbeispiele, z.B. die gotische Halle auf Burg Glanegg in Kärnten.
2) ein Muldengewölbe mit umlaufenden Stichkappen, eine Entwicklung der italienischen Frührenaissance, mit der auch größere Spannweiten bei geringer Raumhöhe ohne Stützen überwölbt werden konnten. Auch dafür gibt es Vergleichsbeispiele aus der Zeit um / nach 1500.
Das Erdgeschoß hat eine primäre Türe an der Südseite, eine weitere an der Westseite die später vermauert und zu einem Fenster verkleinert wurde. Und eine Türe in das Erdgeschoss des Bergfrieds. Die beiden Rechteckfenster an der Ostseite wurden erst nachträglich ausgebrochen. Die Südostecke des Gebäudes ist eingestürzt und wurde durch eine Bretterwand provisorisch geschlossen.
Das erste Obergeschoss des Wohnturms ist bis auf eine Höhe von etwa einem Meter verfallen, auf der Westseite lassen sich noch Reste von zwei Fenstern erkennen.
An der Nordseite führt ein Schulterbogenportal von hoher Qualität in den Bergfried.
Das 2. Obergeschoss kann nur noch an Hand der Giebelabdrücke und Putzreste an der Rückseite des Bergfrieds nachvollzogen werden: An der Westseite sieht man die Abdrücke der bündig an die Bergfriedkante angestellten Mauer. In diesem Geschoss sind Bergfried und Wohnturm also nicht wie im Erdgeschoss verzahnt, sondern der Bergfried wurde zuerst errichtet, der Wohnturm dann nachträglich angebaut. Das muß jedoch nicht eine spätere Errichtung bedeuten, wahrscheinlicher ist lediglich eine zeitversetzte Errichtung im Zuge des Bauablaufs. Auch die erhöhte statische Belastung durch den Seitenschub des Gewölbes im Erdgeschoß könnte eine Erklärung dafür sein, daß der Wohnturm im EG mit dem Bergfried verzahnt wurde. ( Vielleicht ein Grund, daß ausgerechnet die SO-Ecke als erstes eingestürzt ist )
Das 3. Obergeschoß lag schon unter der Dachschräge, auch hier führte eine einfache gemauerte Rundbogentüre in den Bergfried.
An er Südseite befindet sich noch ein Zugang zu einem Kellergeschoß, das aus einem schmalen tonnengewölbten Raum besteht.
Der Bergfried liegt gegenüber dem Wohnturm um etwa einen Meter erhöht auf einer kleinen Felskuppe und sollte diesen wohl gegen den unmittelbar angrenzenden Berghang hin schützen.
Das ganze wirkt aber halbherzig, wie ein bloßes Zitat auf den mittelalterlichen Burgenbau. Hätte man den Verteidigungsfaktor wirklich ernst genommen, hätte man die Burg wohl an einer dafür geeigneten Stelle erreichtet.
Der Bergfried ist nicht mittig an der Nordseite des Wohnturmes angebaut, sondern gegen die Westseite hin versetzt, so daß die Westseite bündig mit dem Wohnturm ist, die Ostseite jedoch um etwa einen Meter eingezogen ist.
Die "Feldseite" des Turmes ist in Form eines 5/8- Schlusses mit zwei abgeschrägten Seiten ausgeführt: Auch das vielleicht ein Zitat auf den mittelalterlichen Keilturm.
Auch die geringe Mauerstärke von nur 80 cm deutet darauf hin, daß hie eine Wehrhaftigkeit nur angedeutet werden sollte.
Jedes der 4 Geschosse des Turmes ist durch eine Türe mit dem Wohnturm verbunden, wobei die Türe im 1. OG besonders hochwertig ausgeführt wurde.
Die Decken über EG und 1.OG waren einfache Holzbalkendecken, über dem 2.OG war ein Tonnengewölbe eingezogen, was wohl als Brandschutzmaßnahme zu interpretieren ist, die das Durchbrennen nach einem Dachstuhlbrand verhindern sollte ( vgl. Tschakaturn ).
Im obersten Geschoss findet man zwei einfache Spatenscharten.
Wegbeschreibung: An der Straße von Leoben nach Vordernberg geht auf Höhe des Stahlwerks Donawitz rechts der Tollinggraben ab, dort findet man nach etwa 100 Metern links den Tollinghof.
Der Tollinghof liegt in einem Privatgrundstück und kann nur von aussen besichtigt werden.
GPS-koordinaten : 47.23'27.00'' N 15.02'53.95'' E